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Lexikon > Hypnotherapie


Als Hypnotherapie oder Hypnosepsychotherapie werden heute Therapieformen zusammengefasst, die u. a. das vorhandene Wissen über die Wirkung von Trance und Suggestionen therapeutisch nutzen. Um Heilungs-, Such- und Lernprozesse zu fördern, wird entweder Hypnose im mehr formalen Sinn praktiziert oder es werden alltägliche Tranceprozesse für die therapeutische Arbeit genutzt. Daneben kann Hypnotherapie auch als Selbsthypnosetraining bzw. Erlernen von (Tiefen-)Entspannungsübungen gestaltet werden.

Geschichte


In Australien war Ainslie Meares ein Pionier der Hypnotherapie.
Im anglo-amerikanischen Gebiet wurde die Hypnose zunächst bei Verhaltensproblemen, Neurosen, psychosomatischen Erkrankungen und in der Medizin erfolgreich angewendet, u. a. vom Psychiater Milton H. Erickson, der heute als Begründer der modernsten Form der Hypnose, der Hypno(psycho)therapie oder der klinischen Hypnotherapie gilt.

Ablauf und Methoden


Der Umfang der Therapie beschränkt sich oft auf wenige Sitzungen. Die Behandlung geschieht auftragsorientiert: Der Therapeut ermittelt mit den Klienten Ziele, die in der weiteren Beratung verfolgt und deren Erreichen am Ende überprüft werden. Voraussetzung für eine gelingende Therapie ist der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung für das Verfolgen der gemeinsam gesetzten Ziele.
In der Regel wird im therapeutischen Kontext zwischen der Hypnose und der eigentlichen therapeutischen Arbeit unterschieden. So kann die Tiefenentspannung und sogenannte hypnotische Trance durch verschiedene Verfahren induziert werden; im therapeutischen Teil kann rein hypnotherapeutisch gearbeitet werden, es können aber auch Elemente aus anderen psychotherapeutischen Verfahren einfließen.
Charakteristisch aber nicht notwendig ist der Einsatz von Suggestion und die Einleitung und Nutzung eines durch vorherige Tiefenentspannung veränderten, aber jedenfalls wachen Bewusstseinszustandes. Diese Form des Wach-Bewusstseinszustand wird hypnotische Trance genannt. Andere Meditations-Techniken wie z. B. Mantra-Meditation oder Vocal meditation, die auch zu Trance oder trance-ähnlichen Zuständen führen können, werden heute ebenfalls von manchen geschulten Therapeuten hypnotherapeutisch genutzt; man kann dann auch von „therapeutischer Meditation“ sprechen.

Hypnotherapie nach Erickson


Die moderne Hypnotherapie wurde stark durch Milton H. Erickson geprägt. Bei der Hypnose nach Erickson handelt es sich um eine kommunikative Kooperation von Therapeut und Klient, wobei der Hypnotherapeut dem Klienten hilft, in eine hypnotische Trance zu gelangen und diesen Zustand für die Veränderungsarbeit zu nutzen. Im Tiefenentspannungszustand steht die vom Bewusstsein des Klienten ausgeübte Kontrolle mehr im Hintergrund, dadurch öffnen sich Zugänge zu unbewussten Prozessen. Der Hypnotherapeut nutzt unter anderem Metaphern, Sprachbilder, Analogien und Wortspiele, um bei dem Klienten in Trance neue Ideen und Lösungsmöglichkeiten für seine Probleme anzuregen. Die Kontrolle darüber, welche dieser Ideen er annimmt und wie er sie nutzt, bleibt dabei vollkommen beim Klienten.
Erickson hatte dabei ein erweitertes Verständnis vom Unbewussten, als es bis dahin mancherorts in der Psychotherapie üblich war. Er glaubte, dass das Unbewusste auch eine Quelle von Ressourcen und Kreativität darstellt, und nicht, wie im engeren Freudschen Sinn, vorwiegend der Sitz des Abgelehnten und Verdrängten sei. Auch er sah allerdings im Bewusstsein eher einen Störfaktor für Persönlichkeitsveränderungen und versuchte, den analytischen Verstand mit Tranceinduktionen abzulenken, um dem Unbewussten Raum zu geben für kreative Veränderungen im Klienten.
In seinen späten Lebensjahren hat Erickson keine klassischen Tranceinduktionen mehr angewendet. Er war ein Meister der Sprache, der durch Geschichten und Metaphern natürliche Trancezustände anregte und nutzte. Ericksons sprachliche Fähigkeiten haben viele seiner Schüler fasziniert. Ernest Rossi sowie Richard Bandler und John Grinder haben versucht, die hypnotischen Sprachmuster in ihren Büchern explizit lernbar zu machen. Die Wirksamkeit der „Erickson’schen Hypnotherapie“ ist seit vielen Jahrzehnten erprobt und erwiesen. Bedeutende amerikanische Vertreter der Erickson’schen Hypnotherapie sind Jeff Zeig, Ernest Rossi, Jay Haley und Stephen Gilligan.

Indikation


Die Wirksamkeit von Hypnotherapie wurde in Studien nachgewiesen. Die folgende Tabelle1 aus dem Jahr 2003 orientiert sich an den im ICD-10 gelisteten Störungen. Bei den in der mittleren Spalte genannten Störungen ist die Anwendung empirisch gut bewährt. In den in der rechten Spalte gelisteten Fällen ist die Anwendung vielversprechend, aber – bisher – ohne ausreichenden empirischen Beleg.

Kategorien nach ICD-10Störungsbereiche mit empirisch belegter WirksamkeitWeitere indizierte Störungsbereiche
Affektive Störungen (F3)Depression, Hypomanie
Angststörungen (F40, 41, 42)PhobienPanikattacken, Zwang
Belastungsstörungen (F43)akute Belastung, posttraumatische Belastung, Anpassungsstörung
Dissoziative, Konversions-, Somatoforme Störungen (F44, 45, 48)somatoforme Schmerzen, Reizdarm, Fibromyalgie u. a.autonome Funktionsstörungen, Konversionen, Hypochondrie, Dissoziative Identitätsstörung, Amnesie, Fugue, Stupor
Essstörungen (F50)Essattacken, Körperbild bei EssstörungenBulimie, Anorexie
Andere Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen (F51, 52, 21)Schlafstörungen, sexuelle Störungen
Psychische und soziale Faktoren bei somatischen Krankheiten (F54)Operationsschmerz, Geburtsschmerz, Krebsschmerz, Migräne u. a.Tinnitus
Persönlichkeitsstörungen (F60) Verhaltensstörungen (F63–69)Abnorme Gewohnheiten, Störung der sexuellen Identität und der sexuellen Präferenz, strukturelle Frühstörungen
Abhängigkeit und Substanzmissbrauch (F1, 55)NikotinabhängigkeitAlkoholismus, Missbrauch von psychotropen Drogen
Schizophrenie und wahnhafte Störungen (F29)Schizophrenie ohne Intelligenzminderung
Hirnorganische StörungenLähmung nach Insult, Infarkt, bei MS
ZusätzlichAdipositas
Kinder und JugendlicheSchmerzkontrolle, Enuresis, Übelkeit und Erbrechen bei KrebsTics, Aufmerksamkeitsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens



Kontraindikation


Absolute Kontraindikation besteht meist bei einer akuten Psychose, psychotischen Zuständen (Manie, schizophrener Schub) und bei paranoiden Vorstellungen. Da eine grundsätzliche Therapiemotivation notwendig ist, können antisoziale Persönlichkeitsstörungen durch Hypnose kaum beeinflusst werden.
Relative Kontraindikation liegt meist dann vor, wenn Rapportverlust während der Hypnose droht, wie bei schweren Borderline- und narzisstischen Störungen. Ursächlich ist die veränderte Realitätsorientierung in der hypnotischen Trance, die nur dann genutzt werden kann, wenn der Rapport aufrechterhalten bleibt.
Die Anwendung bei histrionischer Persönlichkeitsstörung ist umstritten. Einerseits ist zwar meist eine hohe Suggestibilität bei den Patienten vorhanden, andererseits jedoch wird die Gefahr des „Agierens“ vermutet.
Keine direkte Kontraindikation besteht bei traumatisierten Personen, jedoch ist in diesen Fällen ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen erforderlich. Insbesondere bei Missbrauchsopfern kann die Situation der Hypnose mit der meist stark asymmetrischen Rollenverteilung das Gefühl der Ohnmacht des Patienten wecken, das gerade therapeutisch bearbeitet wird. Wird vermutet, dass nicht erinnerbare Kindheitstraumata symptomauslösend sind, so ist zu beachten, dass die Gefahr von Fehlerinnerungen und induzierten Verzerrungen besteht.2

Anerkennung als Psychotherapiemethode


In Deutschland wurde die Hypnotherapie vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie im Jahr 2006 als wissenschaftliche Psychotherapiemethode im Sinne des § 11 des Psychotherapeutengesetzes für Erwachsene in bestimmten Anwendungsbereichen anerkannt. In Österreich ist Hypnotherapie – unter dem Namen „Hypnosepsychotherapie“3 – eine gesetzlich anerkannte Psychotherapierichtung auf tiefenpsychologischer Basis.
Die Anerkennung als wissenschaftliche Psychotherapiemethode4 im Sinne des § 11 des deutschen Psychotherapeutengesetzes erstreckt sich auf folgende Anwendungsbereiche und kann damit auf Antrag von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden:
  • Für Erwachsene: Psychische und soziale Faktoren bei somatischen Krankheiten sowie Abhängigkeit und Missbrauch (Raucherentwöhnung und Methadonentzug).
  • Bei Kindern und Jugendlichen gibt es bislang keinen Anwendungsbereich, in dem sie wissenschaftlich in diesem Sinne anerkannt ist. Die kurzfristige Wirksamkeit der Hypnotherapie bei Kindern und Jugendlichen zur besseren Bewältigung von Chemotherapien bei Krebserkrankungen und weiteren belastenden medizinischen Interventionen ist jedoch belegt.

Weiterhin wird sie nicht als Verfahren für die vertiefte Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten und zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gemäß § 1 Abs. 1 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten empfohlen.
Der Einsatz der Hypnose in der Medizin und in der Psychotherapie ist gesetzlich geregelt. Sie gehört zu den von den deutschen Krankenkassen anerkannten Leistungen und wird auch als Ergänzung zu vielen herkömmlichen Methoden eingesetzt.
In Österreich ist die langjährige Ausbildung zum Hypnopsychotherapeut gesetzlich geregelt. Sie ist auf wissenschaftliche, psychoanalytische und tiefenpsychologische Theorien bzw. Betrachtungsweisen in Verbindung mit verhaltenstherapeutischen Vorgehensweisen aufgebaut.

Risiken


Prinzipielle Risiken bei der Anwendung von Hypnose sind:
  • Unspezifische Nebenwirkungen z. B. Kopfschmerz
  • Retraumatisierung durch reaktivierte belastende Erinnerungen in Trance
  • Dekompensation und Auslösung von larvierten Depression, Manie, Psychose5


Siehe auch


  • Hypnoanalyse, Katathymes Bilderleben
  • Psychotherapie, Humanistische Psychologie
  • Lösungsorientierte Kurztherapie
  • Reparenting


Literatur


  • Walter Bongartz, Bärbel Bongartz: Hypnosetherapie. Hogrefe-Verlag, Göttingen 2000, ISBN 3-8017-1321-0.
  • Stephen G. Gilligan: Therapeutische Trance. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2008, 5. Auflage, ISBN 978-3-89670-485-6.
  • Dietrich Langen: Die gestufte Aktivhypnose, Eine Anleitung zur Methodik und Klinik. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1979, ISBN 3-13-368805-7.
  • Georg Milzner: Die Poesie der Psychosen. Zur Hypnotherapie des Verrücktseins. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2001, ISBN 978-3-88414-270-7.
  • Burkhard Peter: Einführung in die Hypnotherapie. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2007, ISBN 3-89670-467-2.
  • Dirk Revenstorf, Burkhard Peter: Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin. Springer-Medizin-Verlag, Heidelberg 2009, 2. Auflage, ISBN 978-3-540-24584-1.
  • Dirk Revenstorf: Expertise zur wissenschaftlichen Evidenz der Hypnotherapie 2003. Expertise für den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie. Tübingen, Januar 2003 ([http://www.meg-tuebingen.de/downloads/Expertise.pdf Online verfügbar], aufgerufen 11. Dezember 2013).
  • Gunther Schmidt: Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2005, ISBN 3-89670-470-2.
  • Lewis R. Wolberg: Hypnoanalysis, 2nd edition. Grune & Stratton 1964


Weblinks


  • [http://www.dgaehat.de/ Deutsche Gesellschaft für Ärztliche Hypnose und Autogenes Training (DGAEHAT)]
  • [http://www.oegzh.at/index.php/ Österreichische Gesellschaft für ärztliche und zahnärztliche Hypnose]
  • [http://www.hypnose-dachverband.ch/ Schweizer Dachverband für Hypnose, Hypnosetherapie, Hypnotherapie]


Einzelnachweise


1
2 Gutachten zur wissenschaftlichen Anerkennung der Hypnotherapie, 27. März 2006
3 http://www.oegatap.at/hypnosepsychotherapie ÖGATAP Österreichische Gesellschaft für angewandte Tiefenpsychologie und allgemeine Psychotherapie, Fachspezifikum Hypnosetherapie
4 Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie: http://www.wbpsychotherapie.de/page.asp?his=0.113.122.123 Gutachten zur wissenschaftlichen Anerkennung der Hypnotherapie
5 D Revenstorf: Schaden durch Hypnose. Z f. Hypnose und Hypnotherapie 2011, Bd. 6, S. 141–160


Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Hypnotherapie

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