Wer an Depressionen leidet kennt die Leere, Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit. Doch viele lassen sich dies nicht anmerken. Das macht es für Außenstehende schwierig, Depressionen zu erkennen. Selbst bei guten Freunden oder nahen Verwandten ist man oft nicht in der Lage, die Hinweise auf eine Depression richtig zu deuten.
Ein Grund für das schwierige Erkennen von
Depressionen ist das Überspielen der tatsächlichen Gemütslage. Bei leichten und mittelschweren Depressionen wirken viele Betroffene im persönlichen Gespräch normal. Sie sprechen und verhalten sich weitgehend unauffällig und können sogar gesellig und lustig sein.
Gerade wenn der Kontakt in der Freizeit oder während gemeinsamer Feiern stattfindet sind viele Depressive gut in der Lage den inneren Gemütszustand zu verbergen. Die depressive Person ist also scheinbar nicht ständig schlecht gelaunt, traurig oder missmutig.
Selbst wenn die Stimmung gedrückt sein sollte, sind die meisten Menschen in der Lage, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen: Sie wissen wie man Smalltalk betreibt und können unterhaltsam sein – die tatsächliche Gefühlslage bleibt unter der Höflichkeit und Oberflächlichkeit verborgen.
Depressionen sind nicht das Gegenteil von positiven Emotionen und Affekten, sondern vielmehr die Verflachung davon. Die Betroffenen wissen sehr gut, wie es ist, Spaß zu haben, sich zu freuen oder an Partys teilzunehmen. Sie wissen, wie sie sich dabei verhalten müssen, wie angenehme Gespräche führt, wie man flirtet oder was ein charmantes Auftreten ausmacht. Das Problem betrifft vielmehr das Gefühl, welches sie dabei haben. Sie leiden an der inneren Leere, welche sie dabei empfinden.
Schwere Depressionen sind einfacher zu erkennen. Die Lust- und Antriebslosigkeit ist so stark, dass sie kaum zu übersehen ist. Allerdings haben die Betroffenen dann kaum noch Kontakt zu Personen außerhalb ihrer engsten Familie. Freunde und Bekannte haben daher auch weniger Gelegenheiten die Symptome zu bemerken.
Beginn der Erkrankung
Die meisten affektiven Störungen bleiben jahrelang unentdeckt. Erst zurückblickend wird oft klar, dass die Betroffenen teilweise schon seit ihrer Jugend an mehr oder weniger starken
Symptomen gelitten haben. In vielen Fällen werden die Verstimmungen als „vorübergehende Krise“ abgetan und nicht als beginnende Erkrankung interpretiert. Vor allem während der Pubertät übersieht man die ersten Anzeichen: Eine unglückliche Liebe, falsche Freunde oder einfach eine „pubertäre Phase“ werden als Erklärung für Niedergeschlagenheit oder Lustlosigkeit herangezogen.
In der Regel gehen die ersten depressiven Episoden von selbst vorüber. Allerdings ist das phasenweise Auftreten von Verstimmungen auch ein Merkmal der Krankheit – auch ohne Behandlung stellt sich nach einiger Zeit Besserung ein.
Wie soll man sich also nach einer ersten depressiven Episode verhalten? Nun, das hängt vor allem von Dauer und Schweregrad ab. Ab einer Dauer von etwa 2 Wochen sollte man an die Möglichkeit einer Depression denken. Verlaufen die ersten Phasen eher mild, so sehen viele keinen Grund für eine ärztliche Abklärung.
Grundsätzlich wäre es natürlich wünschenswert, wenn bereits bei den ersten Anzeichen einer affektiven Störung professionelle Hilfe aufgesucht wird. Tatsächlich findet der erste Arztbesuch üblicherweise erst sehr viel später statt. Falls Sie sich entschließen, noch keinen Arzt aufsuchen zu wollen, empfehlen sich einige einfache Maßnahmen:
-
Merken Sie sich, wann Sie das erste Mal auf die veränderte Stimmung aufmerksam geworden sind.
-
Notieren Sie sich Zeitpunkt und Dauer der depressiven Phasen.
-
Mit jeder depressiven Episode steigt die Wahrscheinlichkeit für eine weitere.
-
Bei erneutem Auftreten der depressiven Stimmung sollten die Symptome nicht bagatellisiert werden. Auch wenn sich beim letzten Mal die Besserung von alleine eingestellt hat, ist abwarten keine Lösung.
-
Achten Sie auch auf manische Phasen, etwa wenn nur sehr wenig Schlaf notwendig ist oder die Stimmungslage übertrieben positiv ist.
-
Entscheidend ist der Leidensdruck: Wenn Sie oder ein Angehöriger leidet, suchen Sie einen Arzt auf.
-
Bei schweren Verstimmungen ist immer ärztliche Hilfe notwendig.
Typische Verhaltensweisen von Depressiven
Die
Anzeichen einer Depression sind weitgehend bekannt. Antriebslosigkeit, verflachte Gefühle, unregelmäßiger Schlafrhythmus, etc. In der Theorie hört es sich einfach an, doch praktisch ist es als Außenstehender fast unmöglich, verflachte Affekte festzustellen. Schließlich kann man nicht in einen Menschen hineinblicken. Wie soll man sich da ein Urteil bilden? Hinzu kommt, dass man seine Freunde und Angehörige womöglich nur selten alleine trifft. Wenn man sich dann nur wenig Zeit für ein Gespräch nimmt, können wir viele Symptome der Depression nicht erkannt werden.
Dazu kommt, dass einige Symptome durchaus andere Gründe haben können – eine „Verminderung des Appetits“ könnte ein Anzeichen für eine Depression sein, vielleicht hat die Person aber auch nur gerade keinen Hunger.
Wie erkennt man nun also eine Depression bei einem Angehörigen oder Freund? Depressionen entwickeln sich in der Regel über Monate und Jahre. Es ist daher leichter, eine Depression zu erkennen, wenn man die betroffene Person schon lange kennt und darüber hinaus regelmäßig Kontakt besteht. Haben sich die Gewohnheiten des Betroffenen in den letzten Monaten verändert? Hobbys, Freizeitgestaltung, aber auch die Zeit, die in Arbeit und Ausbildung gesteckt wird können Anhaltspunkte sein. Achten Sie vor allem auf folgende Bereiche:
-
Antrieb: War die Person früher aktiver? Das kann zum Beispiel Sport oder auch der Besuch von Konzerten oder das Treffen von Freunden beinhalten.
-
Affekt: Hat sich der Ausdruck von Gefühlen verändert? Finden Sie es in letzter Zeit schwieriger, die Gefühle des Betroffenen an seinem Verhalten abzulesen? Kommen Sie Ihnen deutlich stärker oder schwächer als früher vor?
-
Schlaf: Ist die Person nachmittags häufig müde oder abends hellwach? Haben Sie eine Veränderung des Schlafrhythmus beobachtet?
-
Gesundheit: Klagt die Person vermehrt über gesundheitliche Probleme, wie etwa Kopf- und Rückenschmerzen oder Verstopfungen? Werden notwendige Arztbesuche und Behandlungen aufgeschoben oder ausgelassen?
-
Auftreten: Vernachlässigt der Betroffene die Körperpflege oder die eigene Kleidung?
-
Bemerkungen: Lässt die Person negative Bemerkungen über das Leben an sich oder die Zukunftsaussichten fallen? Dies können beispielsweise Sätze wie „Es hat ja alles keinen Sinn“, „So kann es nicht weitergehen“, usw. sein. Achten Sie in diesem Zusammenhang vor allem auf Hinweise für einen bevorstehenden Suizid.
-
Grübeln: Macht sich der Betroffene bereits seit längerem Gedanken über die immer gleichen Dinge? Haben Sie das Gefühl, dass dieses Grübeln jedoch zu nichts führt und die Person schon seit längerer Zeit immer an den selben (negativen) Gedanken festhält?
Depressionen ansprechen
Ein gutes Gespräch kann mehr Einsicht in die Gefühlswelt bringen als die Analyse von Verhaltensweisen und Merkmalen einer Depression. Vielleicht sollten Sie nicht gleich nach einer Depression fragen. Viele depressive Menschen leiden zwar unter ihrer Krankheit, sie sind sich dessen womöglich aber noch nicht bewusst. Versuchen Sie bei einem entspannten Gespräch einfach mehr über die aktuelle Gefühlslage herauszufinden.
Tipp: Wenn Sie sich Sorgen um einen
Freund oder Angehörigen machen und sich nicht sicher sind, ob es sich um eine Depression handelt, sollte Sie einfach bei einer guten Gelegenheit darüber reden.
Da Sie sich gerade über das Erkennen von Depressionen informieren, dürfte Ihnen eine betroffene Person am Herzen liegen. Häufig ist das auch ein Zeichen dafür, dass eine solide Gesprächsbasis vorhanden ist. Wenn Sie also denken, dass Ihr persönliches Verhältnis zueinander auch ein Gespräch über das persönliche Befinden zulässt, sollten Sie einfach danach fragen. Falls Sie während des Gesprächs eine eher gedrückte, negative Gefühlslage feststellen können Sie auch nach Dauer und Grund dafür fragen. Depressionen werden häufig als „grundlos“ beschrieben.
Jeder war schon einmal niedergeschlagen oder antriebslos. Zumeist sind diese Phasen aber zeitlich begrenzt und haben oft einen Grund: Stress in der Arbeit, Streit in der Familie, ein Trauerfall oder Ähnliches. Depressive können häufig keinen genauen Grund benennen.
Es kann auch vorkommen, dass es einen durchaus verständlichen Auslöser gegeben hat, etwa einen Todesfall in der Familie oder ein Ereignis, welches das Leben aus den gewohnten Bahnen geworfen hat. Hier kommt es vor allem auf die Dauer der depressiven Verstimmung an. Passt der Auslöser in etwa zu der Dauer? War der Todesfall etwa erst vor ein paar Wochen ist eine Trauerphase völlig normal. Sind seitdem jedoch schon Monate oder Jahre vergangen, wird die depressive Verstimmung vermutlich nicht von alleine verschwinden.
Viele Depressive haben sich Bewältigungsstrategien zugelegt. Sie haben gelernt, im Alltag trotz der Verstimmung zu „funktionieren“ und verbergen dadurch teilweise ihre tatsächliche Gefühlslage. Das kann dazu führen, dass eine depressive Stimmung als „normal“ angesehen wird. Häufig hört man – auch von den Betroffenen selber – dann etwa Sätze wie „die Person war schon immer so“ oder „man hat eben ein trauriges Gemüt“. Hier muss Bewusstsein geschaffen werden, dass es nicht normal ist, sich schlecht zu fühlen. Entscheidend ist das subjektive Leid: Wenn es jemandem schlecht geht ist Hilfe notwendig.
Selbsteinschätzung
Depressionen weisen eine Vielzahl an unterschiedlichen Symptomen auf. Manche sind nur schwer erkennbar und einige können auch bei anderen Erkrankungen auftreten. Hier finden Sie eine
vollständige Auflistung der Symptome:
Da eine genaue Abklärung aller Symptome gar nicht so einfach ist, können folgende Fragen helfen:
-
Freut sich der Betroffene noch über schöne Dinge und Erlebnisse?
-
Wie war die Stimmung während der letzten Wochen?
-
Gibt es Dinge, die früher Spaß gemacht haben, jetzt aber zu mühsam geworden sind?
-
Wie ist das Gemüt an einem sonnigen Tag bei gutem Wetter? Bessert sich die Stimmung?
-
Fällt es schwer, Freizeitaktivitäten zu setzen, etwa weil man zu müde ist? Ist man bei Aktivität schnell erschöpft?
-
Gibt es Dinge oder Probleme, über die ständig nachgedacht wird? Belasten diese Gedanken?
-
Fühlt sich der Betroffene häufig krank oder leidet an körperlichen Symptomen, ohne dass ein Arzt eine Ursache finden konnte?
-
Wird noch Spaß und Leidenschaft beim Sex empfunden? Gibt es überhaupt noch ein Liebesleben?
-
Schmeckt das Essen? Hat der Appetit abgenommen?
-
Ist ein Gespräch mit dem Partner oder Freunden über die Gefühlslage möglich?
-
Wird dazu geneigt, sich zurückzuziehen, etwa weil man kraftlos, ohne Energie ist?
-
Kommen gelegentlich Gedanken an den eigenen Tod in den Sinn?
-
Überlegt der Betroffene sich Hilfe zu suchen und macht es dann doch nicht?
-
Ist der Schlaf erholsam? Wird der Schlaf durch nächtliches Aufwachen unterbrochen oder gibt es Probleme beim Einschlafen?
-
Macht sich der Betroffene häufig Vorwürfe, zum Beispiel selbst an den Problemen schuld zu sein?
-
Quälen Zukunftsängsten, beispielsweise wenn es um finanzielle Sicherheit geht?
Wenn Sie vermuten, dass Sie oder ein Angehöriger unter Depressionen leidet können Symptomlisten und eine Selbstbeurteilung bei einer ersten Einschätzung helfen. Vergessen Sie jedoch nicht, dass es sich bei Depressionen um eine Krankheit handelt die immer von einem Arzt oder Psychologen abgeklärt werden sollte. Schwere Depressionen können
tödlich enden und sollten unbedingt behandelt werden!
Quellen:
Manfred Wolfersdorf, Springer Verlag:
Depressionen verstehen und bewältigen
Autor: Benjamin Slezak