Einige Erfahrungen, persönliche Eindrücke und Bemerkungen aus der „Psychosentherapie- Werkstatt“: „Vor einem Jahr bin ich noch unrasiert und mit 10 Kilo mehr da g´sessen und hab dran stark gezweifelt, dass i kommunizieren kann. Jetzt steh i in an Job, wo i andauernd mit vielen Leuten kommunizier und es macht mir sogar Spaß!“ bemerkte Herr V. in einer der letzten Therapiestunden. Es ist nicht so lange her, dass er etwa ein Jahr lang einen relativ großen Teil der Tageszeit im Bett verbracht und sich „die Decke über den Kopf gezogen“ hat. Davor hat er mehrere psychotische Episoden erlebt, wobei die letzte ein Wendepunkt war, an dem sich, mitten „in Trümmern“, eine Klarheit manifestierte: „so will ich nicht, dass es mein ganzes Leben weitergeht!“ Eine starke Entschlossenheit, die daraus resultierte, bewirkte eine vorher nicht gekannte Kontinuität an sich zu arbeiten, wozu die regelmäßigen Therapiesitzungen (wöchentlich, später zweiwöchentlich) gehörten. Herr V. hat etwa vor einem halben Jahr, in Zusammenarbeit mit seinem Psychiater, das Neuroleptikum, das er einnahm, abgesetzt und benutzt jetzt, neben Vitaminen und pflanzlichen Substanzen nur noch eine allopathische Medizin, die ihm hilft besser zu schlafen. Freude und Lebensmut sind wieder erwacht und, was er für ganz wichtig hält, eine Akzeptanz von leidhaften Erfahrungen, die er jetzt als mehr zum Leben gehörend erlebt, als vorher . Herr V: Im Grunde waren meine psychotischen Episoden auch gesunde Versuche mit einem schier unüberwindlichen Trennungsschmerz und dem Zusammenbruch meiner „sicheren“ Existenz (Beruf, Haus, Partnerschaft) umzugehen. Nur ich habe diesen Versuchen keine Zeit gelassen, sich selbst zu entfalten. Ich wollte raus aus dem Leiden um jeden Preis und sofort – und vor allem dachte ich ganz fest: es ganz alleine schaffen zu müssen. Vor allem hat mir meine Bereitschaft, in die Tiefe meiner Schmerzen und Leiden zu gehen und dabei die Nichtbewertung meines Therapeuten geholfen. Ich habe die schmerzhaften Seiten in mir ein Stück weit lieben gelernt.“
Die Therapie läuft seit ca. 3 Jahren und das Sich-einlassen auf diese Konstanz war für ihn an sich schon eine Herausforderung, der er sich erst mit zunehmender Leidenserfahrung stellte. Es geht nicht immer so schnell in der Psychosentherapie, dass derartige Entwicklungen stattfinden. In der Mehrzahl der Fälle geht es wesentlich langsamer und manchmal habe ich den Eindruck, dass der „Mythos der Unheilbarkeit“ schlicht mit der Tatsache zu tun hat, dass man es aus verschiedenen Gründen nicht zuwege bringt, ausreichend ausdauernde und langfristige Entwicklungsprozesse zu begleiten. Heutzutage muss alles schnell gehen, möglichst kostengünstig und möglichst effektiv sein. In der Psychosentherapie von solchen Prämissen auszugehen, verhindert oft das, was möglich wäre. Und dann sagt man: „unheilbar“. Aber es ist auch gut mitzuerleben, dass es auch bemerkenswerte Gesundungsprozesse in relativ kurzer Zeit (3-5 Jahre) gibt, die den „Mythos der Unheilbarkeit“, der nach wie vor in der psychiatrischen Versorgungslandschaft und in unserer Gesellschaft grassiert, Paroli bieten. Herr V., dessen therapeutische Entwicklung ich vorhin kurz skizziert habe, befindet sich noch im psychotherapeutischen Prozess. Ein anderer, ermutigender Verlauf einer Gesundung ist der von Frau H., die ich in den letzten WLP Nachrichten zitiert habe. Sie hat die Therapie vor Jahren abgeschlossen und wird später wieder selbst zu Wort kommen.
Was bei solchen Gesundungsprozessen wirklich auf die Psychotherapie zurückzuführen ist und was auf andere Bedingungen und Einflüsse, ist schwer zu beantworten. Verschiedene Einflüsse auf die Gesundung lassen sich schwer voneinander isolieren. Gesundung ist auch nicht damit identisch, innerhalb von wenigen Jahren wieder am Arbeitsplatz zu funktionieren und als „in die Gesellschaft integriert“ zu gelten. Gesundung bedeutet für einen seit zehn oder mehr Jahren hospitalisierten, als „chronisch“ diagnostizierten, Patienten etwas anderes, als für eine Erstmanifestation einer Psychose (wie Frau H.). Gesundung hat offenbar viel mit einem Gefühl der Bewältigbarkeit von Schwierigkeiten zu tun, mit der Überwindung von Hilflosigkeit und Resignation, mit der Entwicklung von mehr Selbstachtung und Lebensqualität. Klienten haben auch selbst Vorstellungen von Gesundheit und Gesundung, die zu respektieren sind. So z.B. Herr V: „Mein Gesundheitsbegriff hat sich gewandelt: Er lautet heute, das Unwohlsein, die Unzufriedenheit mit/in meiner Existenz zu sehen. Dann nicht mehr davon panisch wegzulaufen oder magnetisch mich wohin flüchten, sondern stehen zu bleiben: Und sagen: Gut Herr V. so ists eben. Früher glaubte ich, ich bin gesund wenn ich einen Job, Partnerin, ein Haus, Geld habe, und wichtig: ganz viel zeitliche und materielle FREIHEIT und es war auch so: Ich hatte alles und baute meine gesunde Welt auf äußeren Sicherheiten. Als all diese Sicherheiten wegfielen wurde ich verrückt. Heute weiß ich, dass die Decke zu wahrer Gesundung sehr dünn ist. Das Loslassen ist ein Begriff dafür, Gesundung passiert zu Hause, nämlich dort wo ich nie hinsehen wollte, in die dunklen, traurigen, einsamen, verlassenen Gefühle. Fast schon will ich sagen, ich kann diese Gefühle genießen: In oder besser nach meiner Trauer fühle ich mich so verbindungsfähig mit den Teilen in und um mich wie selten. Das ist gesund für mich heute. Ich stehe zu Trauer und Sicherheitsbedürfnis. Ich stehe und laufe nicht immer dort hin oder davon weg. Aber ehrlich: Ich laufe schon noch sehr viel “
Ich sehe in der Entwicklung von mehr Lebensqualität, die offenbar auch mit erhöhter Selbstakzeptanz zusammenhängt und in einer Zunahme von Mut, sich den schwierigen, schmerzvollen Erfahrungen zu stellen, viel wesentlichere Fortschritte, als die möglichst schnelle Symptomfreiheit und Wiedererlangung der Fähigkeiten in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen wieder zu „funktionieren“ und nicht mehr aufzufallen. (Mir fallen, z.B. morgens, in der Straßenbahn oder U-Bahn, immer mehr die auf, die „nicht auffällig“ sind. Sie wirken oft nicht viel „gesünder“ als die, die ein bisschen streng riechen und Selbstgespräche führen).
Weil das, was Gesundung möglich macht, in jedem Menschen angelegt ist, ist es nicht verwunderlich, wenn wir manchmal auch von psychotischen Patienten hören, die ohne psychotherapeutische Hilfe wieder gesund geworden sind. Dennoch scheinen, worauf die „Recovery“-Forschung (z.B. Topor, 2001) hinweist, auch in diesen Fällen gewisse Bedingungen dafür erforderlich zu sein. Eine der wesentlichsten sind offenbar Beziehungen zu anderen Menschen, die dem psychotischen Menschen eine längerfristige Kontinuität von Begegnungen bieten. Dabei kommt es auch auf die Qualität der Beziehungen an: authentische Begegnungen „auf gleicher Augenhöhe“, von Mensch zu Mensch, die den Hilfesuchenden nicht auf eine Diagnose oder Patientenrolle reduzieren, aber auch nicht das Leiden an der Psychose ignorieren und die dieses mit zu tragen imstande sind. Das können auch Beziehungen zu Freunden, Bekannten oder zu Personen im weiteren Angehörigenkreis sein. Erfreulich, wenn es solche Beziehungen gibt! In vielen Fällen sieht die Realität nach psychotischen Krisen aber nicht so aus, dass es noch viele Möglichkeiten dieser Art gäbe. Und es sieht so aus, als ob die Dauer des psychotischen Leidens und die Häufigkeit der Krisen verkehrt proportional wäre zur Verfügbarkeit menschlicher Kontakte. Es bleiben immer weniger Freunde und Bekannte übrig und der treueste Begleiter ist oft die Einsamkeit.
Professionelle therapeutische Kontakte, deren Professionalität auch darin bestehen sollte, mit den in solchen Beziehungen meistens in Gange kommenden, oft schwer erträglichen, Gegenübertragungsprozessen konstruktiv umzugehen, stellen oft über viele Jahre die einzige Möglichkeit dar, gesundheitsfördernde Beziehungen zu erleben. Weite Strecken einer Psychosentherapie sehe ich vorwiegend als „Beziehungstherapie“. Was ich damit sagen will ist, dass die Bereitschaft psychotischer Menschen, sich auf eine therapeutische Beziehung einzulassen und dabei eine Konstanz zu entwickeln, an sich schon ein Ausdruck von und wesentlicher Teil der Gesundung ist.
Ein kleines Beispiel kürzlich praktizierter „kooperativer Psychotherapie“ in so einem Fall: die Mutter eines jungen Mannes, der sich nach dem Abbruch seiner Ausbildung jahrelang zuhause verschanzt hat und der zeitweise gewalttätig wurde, wendete sich verzweifelt an mich. Es stellte sich heraus, dass sie ihm zu lange zu weit entgegengekommen war und so die Grenzen des Akzeptablen übersehen hatte. Sie brauchte selbst auch psychotherapeutische Hilfe, sich aus dieser Verstrickung zu befreien. Während ich mich begann um sie zu kümmern, dann nach einiger Zeit, in Zusammenarbeit mit einer Familientherapeutin, eine Sitzung initiierte, die das Ziel hatte auch den Vater einzubeziehen, der etwas ins Abseits geraten war, bat ich einen anderen Kollegen, sich um den Sohn zu kümmern. Dieser hatte schon mehrere Versuche von professionellen Kontakten (zB sozialpsychiatrischer Notdienst) zurückgewiesen und war wegen destruktiven Verhaltens schon mehrmals mit der Polizei in Konflikt gekommen. Der Kollege, ausgebildet in der Methode der „Basisbetreuung“ (nach dem Windhorse-Modell) hat viel Erfahrung und Geschick mit Hausbesuchen und „Begegnungen im freien Feld“. Die Kontaktaufnahme glückte und eine therapeutische Beziehung entstand, die die bisherige Isolation des Sohnes auflöste und für ihn neue Perspektiven eröffnete. Das hat für mich schon viel mit Gesundung zu tun: das Auflösen eines lange bestehenden, verfestigten Zustandes von Rückzug und Isolation und neue Schritte in eine andere Richtung.
Selbst bei langjährig chronischen Patienten scheint das Vorhandensein einer langfristigen therapeutischen Beziehung (selbst wenn die Begegnungen in 3-4-wöchigen Abständen stattfinden) einen bedeutsamen Unterschied zu machen zu einem Sich-selbst-überlassen-sein und ausschließlich medikamentös-therapeutischen Kontakten.
Ein seit mehr als 10 Jahren als chronisch schizophren diagnostizierter Mann um die 30, Herr R., hatte im Laufe der Jahre immer wieder aggressive Auseinandersetzungen mit Männern auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, von denen er sich bedroht fühlte. Diese Ereignisse nahmen im Laufe der Therapie ab und eine Rückmeldung, die ich zufällig von einer Bekannten seiner Eltern bekam war, dass Herr R. seiner Mutter erzählt hatte, dass er in der Therapie gelernt hätte besser mit seinen Aggressionen umzugehen. Er hat sie immer wieder zum Thema gemacht, mehr und mehr auch in welcher Weise er selbst Gewalt von seiner Umgebung erlebt hat. Allein darüber sprechen zu können hat sich erst langsam, über Jahre entwickelt. Lange manifestierte es sich indirekt, in seinen Ängsten zu mir, in die Therapie zu kommen. Er befürchtete zeitweise stark unterwegs zusammengeschlagen zu werden. Dann in meiner Gegenübertragung: ich bemerkte, dass ich bevor er kam in der kleinen Küche, die gleichzeitig Vorraum zu meinem Therapieraum ist, das Brotmesser aus der Abwasch entfernte. Dann, aufmerksamer auf diese Vorgänge, gelang es langsam einen direkteren Austausch über dieses Thema in Gang zu bringen. Was mich beeindruckte war, wie konsequent er den Faden über Monate immer wieder aufnahm, obwohl er zwischendurch wieder – vielleicht auch als Gegenreaktion auf die zunehmende Bewusstwerdung seiner Aggression und Angst – in seine Wahnwelten fiel. Diese Entwicklung kulminierte in einer eindrucksvollen Sitzung, die er mit der Schilderung eines Albtraumes begann in seiner Einsicht: „der Virus, der mi kronk gmacht hot, hast Aggression!“ Schließlich wurde es ihm sogar möglich über seine Mordphantasien (in denen tatsächlich ein Küchenmesser vorkam) und seine schmerzvollen, damals unerträglichen Erfahrungen mit einem sadistischen Angehörigen zu sprechen.
Ein ebenso beständiges und über Jahre immer wieder vorgebrachtes Anliegen eines anderen langjährigen chronisch schizophrenen Patienten, Herrn E., ist der Umgang mit Angst. Er hat mit Hilfe der Therapie die Hoffnung gänzlich frei von Angst zu werden auf eine konstruktive Weise aufgegeben und dann die Möglichkeit entdeckt, sich der Angst aktiv zuzuwenden. Er geht zunehmend kleine und größere Wagnisse ein und verringert dabei seine Angst vor der Angst. Das hat ihm geholfen, seinen Bewegungsradius, der immer wieder von starken, Vermeidungstendenzen sehr eng geworden ist, wieder auszuweiten und regelmäßige Schritte über die Schwelle seiner „Höhle“ hinaus, zu anderen Menschen (zB Schachklub oder ehrenamtliche Beschäftigung bei einem Caritas-Projekt) zu tun. Die „chronischen“ Patienten, die in größeren Abständen (3-6-wöchig) kommen, benötigen deutlich weniger Spitalsaufenthalte als vor der psychotherapeutischen Begleitung und finden, wenn es stationäre Aufenthalte gibt, durch diese Begleitung, wieder schneller zurück in ihr Alltagsleben.
Zunehmend bestätigt hat sich in den vergangenen 12 Jahren mein Eindruck, dass Menschen, die in psychotische Krisen geraten, am effektivsten geholfen werden kann, wenn es möglich war gleich in der ersten oder kurz nach der ersten Episode auch psychotherapeutisch präsent zu sein. Das war der Fall bei Frau H., die einige wesentliche Stationen und Verläufe ihrer Geschichte – notwendigerweise leider gekürzt – wie folgt beschreibt:
Lange bevor meiner Einweisung ins Spital merkte ich starke Stimmungsschwankungen, die sich nicht beruhigen wollten. Meist allerdings überwiegten die negativen Gefühle und alles erschien mir dunkel und schlecht. Mehrere „Stressfaktoren“ häuften sich: Misserfolge im Studium, unglückliche Beziehungen und hoher Erwartungsdruck meiner Eltern. Leider hatte ich nie gelernt, mit Stress umzugehen – meine Eltern hatten mich immer von der „rauen Wirklichkeit“ ferngehalten – und so schluckte ich meine schlechten Gefühle hinunter. Ich war auch als Jugendliche darauf getrimmt worden, negative Gefühle (Ärger, Wut, Zorn, Aggression…) zu unterdrücken und zu verdrängen. Weil ich auch ein eher ruhiges Kind gewesen war, konnte ich das auch recht leicht erlernen. Allerdings wurde ich durch die aufgestauten Gefühle immer verschlossener und zeigte mich nur noch von meiner „besten Seite“. Diese Fassade musste ja einmal zusammenfallen!(…)
Ich bemerkte auch Schlafstörungen und weniger Appetit. Aber als Heranwachsende (ich war ja erst 19) nimmt man solche Veränderungen nicht richtig wahr und ich vermutete einfach, dass ich im Moment weniger Schlaf und Essen bräuchte. Ich erinnere mich aber auch an markante Situationen, die meine schlechte Verfassung widerspiegelten. So begann ich einmal, laut zu schreien, als mein Bruder und seine Frau über Schuhsohlenbeläge sprachen. Ich bezog das Gespräch komplett auf mich und fühlte mich angegriffen. Schreiend verließ ich das Zimmer und hinterließ meine ratlose Familie.
Besonders als meine Wahrnehmung sich veränderte, realisierte ich ganz genau, dass jetzt etwas „falsch laufen würde“. Ich hatte das Gefühl „jetzt werde ich krank; das ist nicht mehr so wie immer“. Meine Gedanken waren ganz klar. Und doch konnte ich auf die Situation keinen Einfluss mehr nehmen.
Irgendwie fühlte ich mich von jedem beobachtet, jede Schlagzeile der Zeitung betraf mich und jeder Fernsehfilm handelte von mir. Jegliche Wahrnehmung hatte plötzlich einen Zusammenhang mit meinem Leben! Auch bemerkte ich verstärkte Orientierungsstörungen in meiner vertrauten Umgebung und fand mich einmal in meinem Heimatbezirk verloren(…).
Ich spürte auch vor meinem Aufenthalt im Krankenhaus eine Art „inneres Kribbeln“, das sich wie ein kochender Topf mit Wasser anfühlte. Ich spürte ein Gefühl wie vor einem Gewitter und äußerte das auch meinen Eltern gegenüber (ich empfand alles in unserem Haus als „elektrisch“, konnte nichts mehr angreifen). Auch bemerkte ich vor meinem Krankenhausaufenthalt „Es ist wie ein Super-Gau“ und meinte damit, die gewaltige Kraft dieser Situation und der damit verbundenen Veränderungen. Dieser Knall war aber für uns alle sehr schmerzhaft und brutal (….)
Zwei Tage schlief ich fast nicht und aß kaum. Meine Eltern sahen keinen anderen Ausweg mehr, als mich mit dem Rettungswagen in ein Spital zu transportieren. Darin muss ich laut den Angaben meiner Mutter immer laut geschrieen haben („Jetzt bin ich ein ‚Fall’!“) und mich sehr gewehrt haben. Ich fühlte mich sehr bedroht. (…..)
Im Krankenhaus selbst erlebte ich schon eine gewisse Beruhigung meines Geistes, wusste aber sicher, dass ich hier nicht gesunden würde. Ich fühlte mich wie in einem Vakuum, ohne Luft zum Atmen.(…..)
Ich hatte Dank meiner Eltern nur eine kurze Zeit im Krankenhaus verbringen müssen und konnte bald darauf eine Gesprächstherapie beginnen. Das war ein zentraler Punkt meiner Heilung, denn im Gespräch wurde vieles geklärt und „geheilt“. Auch konnte ich in den Stunden malen und bei Entspannungsübungen auf mich selbst achten. Ich entwickelte mich gut und fühlte mich auch stärker als vorher. Die komplette Gesundwerdung aber zog sich über Jahre. Zuerst einmal mussten die Medikamente angepasst und immer wieder reduziert werden. Mit Nebenwirkungen wie nächtliche Inkontinenz kämpfte ich noch lange. Es war mir aber von meiner Familie zum Glück genügend Zeit für eine Regeneration gegeben.(…..)
Die Musik war (..) ein treuer Begleiter in meinem Gesundwerden. Ich hatte ja als Kind Klavier gelernt und war überglücklich, nach so langer Zeit wieder spielen zu können. Meine Fingerfertigkeit und Feinmotorik war ja auch in Mitleidenschaft gezogen worden. Nun hatte ich einen Kurs entdeckt, in dem ich Singen, Gitarre spielen und Chorsingen konnte. Schon wenige Monate nach meiner Krankenhausentlassung besuchte ich diesen Kurs und fand mich mit vielen netten musikinteressierten Menschen wieder. Diese neuen Freunde sollten mich bis heute begleiten. Die intensive Befassung mit Musik und das Musizieren halfen mir, meine Mitte wieder zu finden. Ich spürte die positive Energie des Gesanges und der Klänge – sie haben mich beflügelt und geheilt.
Schritt für Schritt konnte ich wieder mein Leben leben und merkte doch vielerlei Veränderungen. Die meisten Veränderungen haben bei mir selbst stattgefunden; meine Familie hat sich aber auch sehr geändert. Meine Mutter hat mir einmal erzählt, dass dadurch die „wichtigen Dinge“ klar geworden sind. Wie viele unwichtige Dinge doch unser Leben beherrschen! Meine Eltern haben durch die Krise gesehen, welche Dinge wirklich wichtig sind. Und ich habe gelernt, mein Leben bewusster zu gestalten.
Ein unglaublich wichtiger Punkt ist mir – mehr als zehn Jahre nach meiner Krisenzeit – meine Eigenwahrnehmung geworden. Ich meine damit, dass ich durch die Krankheit mein Befinden jetzt fast wie mit einer Lupe beobachte und die Frage „Wie geht es dir?“ sehr ernst nehme. Es scheint mir wichtig, immer wieder genau nachzuforschen, wie ich mich fühle. Wenn ich das weiß, kann ich beruhigt meinen Tätigkeiten nachgehen. Ich würde nie mehr ein schlechtes Gefühl wegdrängen oder verleugnen. Es kommt mir wie eine innere Ampel vor, die gelb aufleuchtet, wenn sich meine Stimmung verschlechtert oder ich Stress habe. Dann verfeinert sich meine Selbstwahrnehmung und ich beginne meine Stimmung zu „untersuchen“. Dann versuche ich, ruhig zu sitzen und hinein zu spüren, was los ist. Nicht immer kann ich es herausfinden und benennen, aber ich denke dann an einen Weg, diese Gefühle zu verarbeiten. Manchmal sitze ich dann am Klavier, male oder gehe spazieren. Ich mache dann aber immer etwas mit diesen Gefühlen und möchte sie transformieren. Dieses „Frühwarnsystem“ habe ich schätzen gelernt und ich möchte nie wieder unangenehme Gefühle verdrängen oder runterschlucken. Glücklicherweise kann ich nun besser mit Stresssituationen umgehen und bin zufrieden mit meinem jetzigen Leben. (…) Mein Leben hat sich (durch die Krise) komplett geändert. Es war so schwer während der Krise und doch bin ich nun froh, dass es passiert ist, weil es für mich gut ausgegangen ist. Und gerade weil sich alles zum Besseren gewandt hat, muss das alles ja seinen Sinn gehabt haben, oder?“ |