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Die Suche nach innen

Hofbauer Stefan am 15.11.2013
Fr 15 Nov

Wenn von Wahrnehmung die Rede ist, können wir drei Ebenen unterscheiden:

• die objektive, wissenschaftliche Seite,

• das Denken und

• das Fühlen

Aus der Verwechslung dieser drei Ebenen resultiert viel Unglück und Leiden, wie ich im folgenden Beitrag zeigen möchte.

Wie oft haben wir Menschen klagen hören, dass sie nur einen anderen Job finden müssten, dann wären sie glücklich? Oder dass sie nur einen anderen Partner haben müssten, dann wäre ihr Glück vollkommen. Ja, es sei alles in Ordnung in ihrem Leben, nur diese Stadt und die Menschen hier seinen ganz und gar unmöglich. Dort in Berlin, in Graz, in Amsterdam, sei alles viel besser.

Wo immer wir diese Klage vernehmen, können wir sicher sein, der betreffende Mensch belügt sich selbst. Watzlawick (2012) drückt das so aus: „Denn machen wir uns nichts vor: Was oder wo wären wir ohne unsere Unglücklichkeit? Wir haben sie bitter nötig; im wahrsten Sinne des Wortes.“

Wie kann denn ein Job, eine Ehefrau, eine Stadt, unser Einkommen, eine Wohnung, etc. für unser Unglück verantwortlich sein, wo wir es doch ganz alleine sind, die sich entschieden haben, an diesen Umständen oder Menschen zu leiden?

Nehmen wir als Beispiel einen Nachbarn, der gerne Mozart hört. Der eine wird fuchsteufelswild werden über diese "Katzenmusik" und diesen egoistischen und rücksichtslosen Menschen. Der andere wird sogar noch das Fenster öffnen, weil er diese Musik so wunderschön findet. Und es ist jedes Mal die gleiche Musik!

Wenn wir herausfinden möchten, was uns Leiden verursacht, müssen wir innen suchen, nicht außen. Wir werden da draußen nichts finden. Es sei denn, wir finden uns selbst in dem Baum da draußen, in jenem Text im Internet, in dieser duftenden Blume, in diesem anmutigen Tier, in jenem wunderbaren Menschen. Erst dann werden wir gefunden haben. Erst dann werden wir uns gefunden haben.

Wir können „da draußen“ natürlich etwas wahrnehmen. Und die Wissenschaft glaubt darin den einzigen Weg gefunden zu haben, unsere Welt zu erkennen. Ich kann einen Apfel, den ich vor mir sehe, präzise beschreiben, seine Größe bestimmen, seine Farbe, sein Gewicht, die Farbe des Untergrundes auf dem er liegt, ich kann seine Sorte bestimmen und ich kann seinen Nährwert bestimmen, etc. Das ist die objektive Seite der Wahrnehmung, das ist die Art, wie auch andere Menschen den Apfel beschreiben würden, immer wieder und jedes Mal in genau der gleichen Weise.

Das ist der Punkt, an dem die Wissenschaft stehen bleibt. Sie kommt, mit noch so präzisen Messgeräten, über diese Ebene nie hinaus. Und sie leugnet sogar, dass es noch andere Ebenen der Wahrnehmung geben könnte.

Was ich mir persönlich denke, wenn ich einen Apfel sehe, interessiert die Wissenschaft nicht mehr und welche Gefühle ich dazu habe, ist ihr erst recht egal. Wie sollten diese Ebenen des Denkens und des Fühlens auch gemessen werden? Sie sind bei jedem Menschen anders, hängen von seinen persönlichen Erfahrungen ab, von seiner momentanen Stimmung und so vielem mehr.

Hier erst beginnt die Entwicklung nach innen, die Reise in die Selbstentdeckung und -entwicklung. Was genau löst diese Gedanken in mir aus, wenn ich diesen Menschen sehe? Wie mache ich mir so schöne oder so unangenehme Gefühle? Was genau tue ich da? Das sind die Fragen, die mich wirklich weiter bringen, in dem Sinn, dass ich mich immer genauer kennen lerne, dass ich immer mehr Seiten von mir selbst entdecke. Das sind auch die Fragen, die uns in der Psychotherapie interessieren.

Unser Unglück resultiert häufig daraus, dass wir unser eigenes Denken und Fühlen für die objektive Wahrnehmung halten, wie das Watzlawicks berühmte Geschichte mit dem Hammer verdeutlicht:

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat was gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts getan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht´s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“

Es ist nicht nur für unsere Selbsterkenntnis nützlich, sich zu fragen, was genau habe ich wirklich wahrgenommen und wo beginnen meine Fantasien, meine Gefühle zu dieser äußeren Ebene. Es fördert und intensiviert auch unsere Begegnungsfähigkeit mit anderen Menschen. Denn je mehr ich bei der ersten Unklarheit in den direkten Dialog gehe, desto tiefer lerne ich mein Gegenüber kennen. Und je mehr ich mir einbilde, schon alles über den anderen (z.B. meinen Partner) zu wissen, desto mehr stirbt der Dialog und letztendlich sogar die Beziehung.

Das, was wir außen wahrnehmen können, ist oft recht wenig. Im obigen Beispiel wäre das nur die Wahrnehmung, dass der Nachbar Mozart spielt. Das ist die Ebene, die jeder Mensch mit gesunden Ohren und in einem bestimmten Umkreis wahrnehmen könnte. Was diese objektive Wahrnehmung jedoch mit mir macht, kognitiv, emotional und körperlich ist bei jedem Menschen anders. Und sich darüber auszutauschen, macht menschliche Begegnung so spannend, ja das macht sogar die Begegnung mit mir selbst spannend, weil mein Erleben von Tag zu Tag anders sein mag und weil ich so gesehen jeden Tag neue Facetten an mir entdecken kann, die ich bisher nicht kannte.

Es ist daher nicht die Stadt da draußen an der wir leiden, es ist nicht unser Job, es ist nicht unser Partner! Es sind unsere Gefühle, die wir in Bezug auf diese äußere Seite haben, es ist unser Denken, das das Leiden verursacht. Und diese Ebenen sind es, die wir (z.B. durch Psychotherapie) verändern können. Das mag nicht einfach sein, aber es ist die einzige Möglichkeit, zumindest eine gewisse Lebenszufriedenheit, wenn nicht sogar Glück zu finden.


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Watzlawick, Paul (2012). Anleitung zum Unglücklichsein. Piper Verlag.

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Psychotherapie Suche nach Innen Unglücklichsein Wahrnehmung
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