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Retroflektion und Psychosomatik

Hofbauer Stefan am 11.10.2013
Fr 11 Okt

Wie die Projektion, gehört auch die Retroflektion zu den Kontaktunterbrechungen in der Gestalttherapie. Andere Therapieschulen würden vermutlich Abwehrmechanismen dazu sagen. Das Wort kommt vom Lateinischen „retro“, das so viel wie zurück, rückwärts, nach hinten bedeutet und „flexio“, das die Bedeutung von Biegung hat.

Retroflektion (bei einigen Autoren auch Retroflexion) bedeutet also Rückwendung. Wenn wir retroflektieren, tun wir uns selbst das an, was wir anderen gerne antun würden. Die Energie geht hier nicht nach außen, sondern kehrt sich um und richtet sich wieder gegen den Verursacher. Das was eigentlich auf ein Objekt gerichtet sein sollte, richtet sich wieder zurück gegen das Subjekt.

Erfahrungsgemäß sind es besonders häufig Gefühle der Aggression, die retroflektiert werden. Psychoanalytisch gesprochen hat das mit den Über-Ich-Regeln zu tun. Sätze wie „Wut ist etwas Schlechtes“, „man darf niemanden schlagen“, "sag so etwas nicht laut" etc., führen dazu, dass das ursprüngliche Gefühl, also zum Beispiel Wut und Aggression nicht ausgedrückt wird.

Beispielsweise könnte ich den Impuls haben, meinen Arbeitskollegen anzuschreien, aber die gesellschaftliche Norm gebietet, dass „man“ nicht so aggressiv sein darf. Und so „investiere ich lieber gewinnbringend“ in Kopfschmerzen und Nackenverspannungen oder ich handle mir durch das Runterschlucken des Ärgers Halsschmerzen oder Magenschmerzen ein.

Retroflektion als Kontaktunterbrechung oder Abwehrmechanismus ist wahrscheinlich hauptverantwortlich für alle möglichen Arten von psychosomatischen Erkrankungen. So mögen etwa Kopfschmerzen, ständige Halsschmerzen, Nackenverspannungen, aber auch Magen- und Darmprobleme ursprünglich auf retroflektive Mechanismen zurückzuführen sein.

Auch Körpererscheinungen wie Zittern, Krämpfe in Armen und Beinen, der berühmte „Frosch im Hals“ und andere Phänomene könnten ursprünglich daraus resultieren, dass ich jemand anderen schütteln, fest anpacken oder anschreien will, die Energie aber nicht nach außen geht, sondern sich gegen mich richtet. Insofern wären diese Symptome der muskuläre Ausdruck eines zurückgehaltenen Gefühls.

Das alles beginnt ursprünglich als bewusste Kontrolle. Ein Kind, das in Versuchung gerät, etwas Verbotenes zu berühren, verbietet es sich selbst, sagt leise: „nein, nein, nein“, zu sich selbst, als wäre es sein eigener Elternteil. Später wird das vergessen und zurück bleibt ein Symptom.

In der Therapie besteht die Möglichkeit, die Retroflektion aufzulösen, indem wir den Klienten*) zu seiner Selbstverantwortung zurückführen. Beispielsweise, indem wir ihn auf seine Sprache aufmerksam machen, ihm die Worte „man“ und „es“ nicht durchgehen lassen und ihn dazu auffordern, in direkten Dialog mit der betreffenden Person zu treten sowie ihn ermutigen, Begriffe zu benutzen, die seine Gefühle deutlicher beschreiben.

Oft ist es auch das Aufmerksam-Machen auf eine Körperhaltung oder einen zappelnden Fuß, eine trommelnde Hand, die mehr Bewusstheit für den Klienten ermöglichen, weil in diesem Körperausdruck oft die ursprüngliche Emotion (z.B. Aggression) gespeichert und abgebildet ist. Auch die Personifizierung des Symptoms (dem Frosch im Hals eine Stimme geben) und der Dialog mit ihm sind hilfreich, um dem Klienten mehr Bewusstheit dafür zu ermöglichen, was er mit sich selber tut.

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*) Gemeint sind immer Frauen und Männer.

#retroflektion #kontaktunterbrechung #gestalttherapie



www.gestalttherapeut.com
Gestalttherapie Kontaktunterbrechung Retroflektion
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