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Fachartikel


Frieden aus der Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie
von Prof. Dr. Martin Vogelhuber
1.1. Aggressionstheorien und ihre Konsequenzen


1.1.1. Der abreagierende Mensch
Um einen Blick auf die Aggressionstheorie der Existenzanalyse und Logotherapie werfen zu können, muss zunächst auf biologischer, psychologischer und soziologischer Ebene geklärt werden, was Aggression eigentlich ist.
Eine biologische Theorie lieferte schon Thomas HOBBES, der schon im 17. Jahrhundert davon sprach, dass der Mensch von angeborenen Leidenschaften beherrscht sei, die einer dauernden Kontrolle bedürften. Auf dieses negative Bild der menschlichen Natur aufbauend entwarf er in seinem „Leviathan“ das Bild eines starken Staates, der notwendig sei, um die wilden, rohen und triebhaften Menschen zu zähmen. Sigmund FREUD verfeinerte die HOBBESsche Theorie ein wenig, indem er im Unbewussten zwei Triebe annahm, die ständig, entweder gemeinsam, gleichsam kooperativ, oder auch einzeln und im schlimmsten Falle antagonistisch agieren würden: Eros, dessen Energie, die libido auf Befriedigung von Lust gerichtet sei, und Thanatos, dessen Kräfte auf Zerstörung drängten.1 Der Mensch sei also unbewusst von einem Lebens- und Todestrieb angetrieben. Eine aggressive Tendenz sei im eigentlichen Sinne eine Verschiebung des eigenen Todestriebes auf eine andere Person. Lassen wir nun FREUD selbst zu Wort kommen, der in einem Brief an EINSTEIN über die Bedeutung beider Triebe in Hinblick auf Aggression folgendes schreibt:

„Sie verwundern sich darüber, dass es so leicht ist, die Menschen für den Krieg zu begeistern, und vermuten, dass etwas in ihnen wirksam ist, ein Trieb zum Hassen und Vernichten, der solcher Verhetzung entgegenkommt (…) Wir nehmen an, dass die Triebe des Menschen nur von zweierlei Art sind, entweder solche, die erhalten und vereinigen wollen – wie heißen sie erotische, ganz im Sinne des Eros im Symposion PLATOs. Oder sexuelle mit bewusster Überdehnung des populären Begriffs von Sexualität – und andere, die zerstören und töten wollen; wir fassen dies als Aggressionstrieb oder Destruktionstrieb zusammen.“ 2

FREUD zeichnet hier das Bild vom Menschen als Wesen, das von seinen Trieben nicht nur energetisch angetrieben, sondern gleichsam auch getrieben wird. Was nun nach FREUD tun, um Krieg zu bekämpfen, Gewalt zu verhindern, wenn schon das Innere des Menschen ein Kriegsschauplatz zu sein scheint? FREUD versucht, einen indirekten Weg zur Verhinderung von Krieg und Gewalt zu wählen. Es soll präventiv der Gegenspieler dieses Triebes, der Eros aufgerufen werden. Alles was imstande ist, Gefühlsbindungen unter den Menschen herzustellen, eingesetzt werden, um dem Krieg entgegenzuwirken. FREUD meint hier einerseits Beziehungen zu einem Liebesobjekt und spricht hier relativ direkt das Motiv der Nächstenliebe an. Die andere Art der Gefühlsbindung ist nach FREUD durch die Identifizierung hervorzurufen. Hier kann alles verwendet werden, was Gemeinsamkeiten unter Menschen herstellt, und zum Zweck des Friedens dient. Dabei ist interessant, dass FREUD hier von der angeborenen Ungleichheit von Herrschern und Beherrschern ausgeht. Die biologischen Eliten sollen ganz im Sinne PLATOs zur vernünftigen Beherrschung der Massen erzogen werden :3

„Es ist ein Stück der angeborenen und nicht zu beseitigenden Ungleichheit der Menschen, dass sie in Führer und in Abhängige zerfallen. Die letzteren sind die übergroße Mehrheit, sie bedürfen einer Autorität, welche für sie Entscheidungen fällt, denen sie sich meist bedingungslos unterwerfen. Hier wäre anzuknüpfen, man müsste mehr Sorge als bisher aufwenden, um eine Oberschicht selbständig denkender, der Einschüchterung unzugänglicher, nach Wahrheit ringender Menschen zu erziehen, denen die Lenkung der unselbständigen Massen zufallen würde. (…) Der ideale Zustand wäre natürlich eine Gemeinschaft von Menschen, die ihr Triebleben der Diktatur der Vernunft unterworfen haben. Nichts anderes könnte eine so vollkommene und widerstandsfähige Einigung der Menschen hervorrufen, selbst unter Verzicht auf Gefühlsbindungen zwischen ihnen.“ 4

Hier ist deutlich erkennbar, dass bei FREUD auf der einen Seite HOBBESsche Anschauung eines starken, Gemeinschaft im Sinne von libidinösen Bindungen schaffenden, elitären Staates auftaucht. Auf der anderen Seite aber wird das sich selbst in die Schranken weisende Individuum angesprochen. Was allerdings verwundert, ist, dass dieses sich selbst kontrollierende Individuum auch und zwar im idealen Sinne ohne Gefühlsbindungen friedlich mit anderen Menschen zusammenschließen könne. Hier rückt sich FREUDs Auffassung stark in die Nähe des Puritanismus, dem Gefühlsaufwallung als gefährlich erscheint. Der Puritaner, zumindest im religiösen Sinne sein eigener König, da er keinem wie auch immer gearteten Lehramt unterworfen ist, überzeugt von der Verderbtheit der menschlichen Natur, die durch den Erbsündenfall als vollkommen zerstört erscheint, muss alles, was Trieb ist, in sich abtöten, ausrotten. Erst dann kann er sich mit gleich gearteten Menschen zusammenschließen, die ebenfalls diesem Ideal huldigen. Diese amerikanische Form des Gemeinschaftsgefühls nennt sich dann Kommunitarismus. Vielleicht ist dies auch ein Grund, warum die Lehre FREUDs in Amerika so gut aufgenommen wurde.5 Nicht unbedingt, weil endlich die vom Puritanismus unterdrückte Sexualität sich nun befreien konnte, sondern gerade weil sich die Puritaner in der Verderbtheit und Verworfenheit der menschlichen Natur bestärkt sahen.
Eine Modifikation der FREUDschen Lehre ist bei Konrad LORENZ zu finden, der die These vertrat, dass Aggression ein zweckgebundenes Phänomen sei, das sowohl die Verteilung der Tiere und Menschen im jeweiligen Habitat (Lebensraum) sowie die nötige Zuchtauswahl des jeweils stärkeren liefere.6 Aggression sei ein spontaner, angeborener Trieb, der sich auch im extremen Falle ohne äußeren Auslöser aufstaue und der möglichst harmlos, zum Beispiel im Sport, abreagiert werden müsse.7 Dazu LORENZ:

„Gerade die Einsicht, dass der Aggressionstrieb ein echter, primär arterhaltender Instinkt ist, lässt uns seine volle Gefährlichkeit erkennen: Die Spontaneität des Instinktes ist es, die ihn so gefährlich macht. Wäre er nur eine Reaktion auf bestimmte Außenbedingungen, was viele Psychologen und Soziologen annahmen, dann wäre die Lage der Menschheit nicht ganz so gefährlich, wie sie tatsächlich ist. Dann könnte man tatsächlich die reaktions-auslösenden Faktoren erforschen und ausschalten. FREUD darf den Ruhm für sich beanspruchen, die Aggression erstmals in ihrer Eigenständigkeit erkannt zu haben (…).“ 8

Die Anschauungen, dass sich Aggression durch Ersatzhandlungen wie z.B Sport oder rituelle Handlungen am Ersatzobjekt abreagieren lasse, können heute als weitgehend widerlegt gelten. BOHART (1980) bat Studenten, die an seiner Versuchsreihe teilnahmen, sich vorzustellen, dass ihnen ein Provokateur gegenübersitzt und dazu ein bis zwei Minuten möglichst kräftig zu schimpfen. Hier zeigte sich: Die Teilnehmer fühlten danach nicht weniger, sondern mehr Groll auf den Provokateur als zuvor. Dies gilt auch für ärgerbezogenes Spiel. In einem Versuch von MALLICK&Mc CANDLESS (1966) wurden 9-jährige Kinder in einem Wettspiel von einem Spielteilnehmer verärgert. Sie hatten später noch Gelegenheit, auf ein Bild zu schießen, das in Geschlecht und Alter dem Übeltäter in etwa entsprach. Dies führte aber keineswegs zur Verminderung des aggressiven Verhaltens, als sie dem Provokateur wieder in vivo begegneten. 9
Daran lässt sich relativ gut zeigen, dass psychologische Richtungen, die auf dem „Rauslassen“ von Ärger basieren, dazu beitragen, Ärger und Frustration noch nachhaltiger zu bahnen, oder wie es moderne Systemiker sagen würden, in der „Problemtrance“ zu verbleiben. Weiters wird gelernt, Aggression auf Ersatzobjekte zu richten, was in FREUDscher Terminologie dem Abwehrmechanismus der Verschiebung gleichkommt. Abgesehen davon dass, wie wir zeigen konnten, Aggression gebahnt wird, erscheint es nicht unbedingt ethisch, Aggression auf Sachen oder auf unschuldige Mitmenschen zu lenken. Personale Haltungen von äußerster ethischer Zweifelhaftigkeit entstehen, wenn dieses Modell von klinischen Fachleuten dem hilfesuchenden Menschen indoktriniert wird.


1.1.2. Der reagierende Mensch
Zu dieser Kategorie ist das Menschenbild von Jean Jaques ROUSSEAU zu zählen, der den Mensch als von Natur aus gut sah, nur entartet und verdorben durch die Gesellschaft, d.h. durch soziologische Einflüsse. Dies zeigt uns auch, dass prinzipiell der Marxismus eher aus der ROUSSEAUschen Theorie als aus der HOBBESschen erflossen ist. Würde man alle Klassenschranken und – unterschiede beseitigen, würde automatisch der autonome friedfertige Mensch zum Vorschein kommen und mit ihm das Paradies auf Erden. In seiner Lehre vom Gesellschaftsvertrag führt ROUSSEAU allerdings aus, dass alle diese königlichen und guten Individuen miteinander einen Gesellschaftsvertrag schlössen, um quasi für die Gemeinschaft dieses Ideal zu wahren. Praktisch heißt das: Der Allgemeinwille, die volonte generale bestimmt, was gut ist .10 Was von der Allgemeinheit als schlecht erachtet wird, muss im Sinne des im Kollektiv hypostasierten Guten ausgemerzt werden. So geht das Individuum durch den Beitritt im Kollektiv auf. Da bei ROUSSEAU der Besitz als das Grundübel schlechthin (als Wurzel des Neides und der Habgier) gilt, hat das Kollektiv jedwedes private Eigentum, eigentlich im strengeren Sinne jede bürgerliche Ideologie in Wort und Tat zu unterdrücken. So wird aus dem königlichen Individuum ein soziales Atom in der Schlachtbank des Kollektivs Die letzte reale Verwirklichung dieses klassenlosen Paradieses konnte in POL POTs Kambodscha beobachtet werden, wo die Implementierung dieses egalitären Prozesses rund der Hälfte der Bevölkerung das Leben kostete.
John DOLLARD entwickelte in analoger Entsprechung zu ROUSSEAU dazu die sogenannte „Frustrations-Aggressions-Theorie“, wonach jede Aggression die Folge einer erlebten Frustration sei. Demnach sollten verschiedene Formen von Frustrationen vom Menschen fern gehalten werden, um ihn friedlich zu erhalten. Die praktischen Konsequenzen dieser Theorie waren nun wieder Wasser auf den Mühlen der Verhaltensbiologen und Psychoanalytiker FREUDscher Prägung. Dazu LORENZ:

„(…) auch hat er (FREUD) gezeigt, dass der Mangel an sozialem Kontakt, vor allem sein Verlorengehen (Liebesverlust), zu den stark begünstigenden Faktoren zählen. Die falsche Konsequenz aus der an sich richtigen Vorstellung, die von vielen amerikanischen Erziehern gezogen wurde, lag in der Annahme, dass Kinder zu weniger neurotischen, an die Umwelt besser angepassten vor allem weniger aggressiven Menschen heranwachsen würden, wollte man ihnen von klein auf jede Enttäuschung (frustration) ersparen und ihnen in allem nachgeben. Eine diesen Annahmen entsprechende amerikanische Erziehungsmethode zeigte nur, dass der Aggressionstrieb, wie so viele andere Instinkte auch, spontan aus dem Inneren des Menschen quillt. Es entstanden unzählige ganz unerträglich freche Kinder, die alles andere als unaggressiv waren.“ 11


1.1.3. Der agierende Mensch
So wie allgemein im psychophysischen Problem zeigt sich auch hier, dass es keine rein innerlichen oder äußerlichen Wurzeln der Aggression gibt, sondern dass wir es hier mit einem komplexen System von biopsychosozialen Ursache- Wirkungszusammenhängen zu tun haben. Gäbe es nun nicht nun noch eine andere Sicht der Dinge, eine Sicht, die in die humane, eigentlich menschliche Dimension vorstößt? In der FRANKLschen Sichtweise wird der Mensch als geistiges Wesen gesehen, das jenseits einer völligen biologischen und sozialen Vorherbestimmtheit fähig ist, Werte zu erfassen, Werte, die z.B Nächstenliebe, oder Frieden heißen. 12 In der FRANKLschen Sichtweise prägt mich nicht das, was biologisch in mir ist, oder was ich sozial empfangen habe. Eigentlich prägt mich das, was ich ausschicke, in die Welt aussende. Nehmen wir ein Beispiel: Ich werde verachtet. Dies ist mein soziologisches Schicksal. Ich werde wütend, Erregung steigt in mir auf. Das ist das biologisch-physiologische Korrelat. Noch ist nichts entschieden. Nur die Kausalität hat Vorarbeit geleistet, aber noch nicht die entscheidende, die eigentliche, die menschliche Arbeit. Die kommt nun in meiner Entscheidung. Erwidere ich die Verachtung mit Hass, werde ich zu einem hassenden Menschen. Bleibe ich jedoch ruhig und gelassen und wünsche dem verachtenden Menschen selbst Ruhe und Heil so bleibe ich ein friedfertiger Mensch. Das heißt: FRANKL sieht die geistige Dimension geradezu als Transformator für psychische Energien: Jedoch ist diese humane Eigenschaft auch mit großen Gefahren erkauft, da ich ja auch einem Menschen jede Möglichkeit, sich zu ändern wegnehmen kann, wenn ich ihn abgrundtief hasse:

„Nun ist die Sache die, dass gewisse aggressive Bereitschaften da sein mögen; aber sie sind in die menschliche Dimension überhöht. Als Mensch bin ich nicht aggressiv, sondern als Mensch bin ich ganz etwas anderes: ich hasse – oder ich liebe. Als Mensch bin ich nicht nur das Vehikel einer Sexualenergie, sondern als Mensch bin ich fähig zur Hingabe. Die Sexualität ist in deren Dienst gestellt und wird zum Ausdrucksphänomen für die Begegnung mit dem Partner. Also meine ich: man hasst; aber wenn man dem Menschen beizubringen versucht, dass kein Grund zum Hassen besteht, dann wird Hassen absurd. Wenn sie dagegen dem Menschen einreden, dass er „aggressive Potentiale“ hat, die er ausleben muss, dann erzeugen sie in ihm den fatalistischen Wahn, Krieg Hass und Gewalt seien schicksalsnotwendig. Aber nichts ist bloß Schicksal für den Menschen, weil er innerhalb seiner Dimension alles noch zu gestalten hat.“ 13

Das heißt auch: Freiheit ist jenseits der psychologischen Freiheit, der Freiheit des Willens idealerweise gerichtet auf einen Grund. In diesem Falle der Liebe, die das Heil des Anderen will. Der Friede, der sich daraus ergibt, ist das Beiwerk der Liebe, er kommt als Nebenwirkung, als Effekt der Liebe. Friede aus der Sicht der Logotherapie ist kein negativer Friede, der bloß die Abwesenheit von Gewalt und das Anwesendsein von Ruhe und Ordnung meint. Frieden braucht einen tragfähigen Grund. 14
Es ist eben der freiwillige Aggressionsverzicht, der erfolgt, weil eben die Liebe zum Nächsten über die vorher genannten biologischen und soziologischen Mechanismen siegt. In der Friedensforschung oder auch ganz einfach in Pädagogik und Psychologie sollten wir uns heute mehr fragen, was für die Liebe spricht, als zu analysieren versuchen, was die Ursachen von Aggression sein können. 15
Es spricht viel für die Liebe. In der Partnerschaft, weil sie den Anderen und seine Heilsmöglichkeiten , weil sie das Kind als Erzeugnis wie Zeugnis der gegenseitigen Liebe meint. In Gruppen und Gemeinschaften, weil die Liebe will, dass niemand verloren geht, sei er klein oder schwach, sei er Ausländer oder einfach furchtbar gestört oder kompliziert. Was tun, wenn der Andere trotzdem hasst? Ich bleibe, wenn ich liebe, wenigstens heil, in mir ist Frieden. Wenige Menschen handeln so und sprengen so die Kette der Gewalt. Aber gerade die Wenigen, seien es im letzten Jahrhundert Helden des Friedens wie Martin Luther KING oder Mahatma GANDHI haben gezeigt, auf welchen Grundlagen eine friedlichere Welt aufgebaut werden kann. Viktor FRANKLs Verdienst ist es, dazu die psychologischen, oder besser gesagt, philosophischen Argumente geliefert und sie vor allem durchlebt und durchlitten zu haben.



2. FRIEDENSERZIEHUNG – WAS IST MÖGLICH?

2.1. Friedenserziehung in der Familie
Aus unterschiedlichen Untersuchungen lässt sich herauslesen, dass gewaltfreie und prosoziale Orientierungen primär in der Familie erworben werden. Dafür sprechen nach NOLTING Untersuchungen an aktiven Pazifisten und vor allem auch hoch engagierten Bürgerrechtskämpfern in den USA (MANTELL, 1972, MUSSEN&EISENBERG-BERG 1979). Als Hintergrund oder genauer Grundlage der Erziehung dieser Menschen lassen sich gewöhnlich Merkmale wie Eltern als positives Verhaltensmodell, eine warme emotionale Eltern-Kind-Beziehung, die Anregung von Einfühlung, vor allem aber auch opferbezogene Erklärungen beim Fehlverhalten des Kindes. In der Konfliktlösung findet sich die Argumentation anstatt von Machtentscheidungen. Vor allem wurde den Kindern auch Verantwortung übertragen und sie wurden zu selbstverantwortlichem Handeln ermutigt.
16
Aus der Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie erscheint bedeutsam, dass vor allem die Selbsttranszendenz, in diesem Falle das Ausgerichtet- Sein auf Gründe und Bedürfnisse des Anderen einen zentralen Stellenwert in der Friedenserziehung einnimmt. Vor allem die opferbezogene Erklärung des Fehlverhaltens des Kindes, das nach den Gefühlen des Opfers fragt, erscheint als wichtig für die Reflexion eigenen Tuns und Handelns. Wichtig auch das Hineinwachsen in die Verantwortlichkeit, das heißt, dass den Kindern beigebracht wird, dass mit wachsender Freiheit auch die Verantwortlichkeit gegenüber anderen Menschen und der gesamten Mitwelt steigt. Wir haben nun gesagt, dass friedfertiges Handeln in der Familie beginnt, jedoch auch jenseits der Familie ein Ziel unseres Tuns sein soll.
Für gesellschaftlich relevantes Handeln erscheint nun wichtig, dass sich das elterliche Vorbild auch auf Engagement in der Gesellschaft erstreckt, dass Kinder sehen, dass sich ihre Eltern für die Gemeinschaft engagieren. Dies kann Elternmitarbeit in Kindergärten, Schulen, Pfarrgruppen, in Kinder- und Jugendorganisationen, aber auch der Einsatz in Vereinen, vor allem aber in Gruppen sein, die sich für ein friedvolles Miteinander von Menschen einsetzen. Das heißt auch: Friedfertigkeit in einer isolierten Familie reicht nicht. Die Kinder sollen gleichsam ermutigt werden, sich für die Gemeinschaft im Sinne von Gerechtigkeit und Frieden zu engagieren. 17


2.2. Friedenserziehung in der Schule

2.2.1. Sachthemen-Friedenskunde
Was kann die Schule zur Friedenserziehung leisten? Prinzipiell sind Bedenken anzumelden wenn bei jedem gesellschaftlichen Problem die Schule sofort als Korrektur- und Reperaturanstalt angerufen wird. Dies beinhaltet, kurzfristig auftauchenden Probleme (Leseprobleme im Sinne von PISA, Mobbing, Gewalt, Aids, Drogen…) mit Hilfe von schnell dekretierten und implementierten Applikationen beheben zu wollen.Um was es gehen könnte, wären Unterrichtsprinzipien, etwa im Sinne von Friedenskunde, wobei in den verschiedensten Fächern thematisiert werden könnte, welche Haltungen wirklich Frieden schaffen und erhalten können und welche ihn gefährden. Dazu gehören Themen wie Krieg, Rüstung, Vereinte Nationen, Hunger, Armut, Vorurteile und Rassismus. Vor allem gehört dazu, wie Gerechtigkeit angesichts von Ungerechtigkeit geschaffen werden kann, ohne die besten Zwecke durch unlautere Mittel, nämlich Gewalt zu entheiligen. Denn wie wir schon gehört haben, würden wir, wenn wir uns mir Gewalt und Brutalität für Gerechtigkeit und langfristig für den Frieden einsetzen, diesen nicht erreichen, da wir uns durch unser Tun selbst zu gewalttätigen Menschen prägen. Friedensrelevanten Sachthemen sollte sicherlich mehr Platz im Unterricht eingeräumt werden. Die Grundlagen des politischen Handelns von Martin Luther KING oder Mahatma GANDHI sollten nicht nur Bestandteile des Geschichtsunterrichts, sondern auch psychologisch im Sinne von Prinzipien der Gewaltfreiheit und damit als Grundlagen echten und dauerhaften Friedens unterrichtet werden. 18


2.2.2. Friede als Angelegenheit des Herzens

Was nun tun, um im Sinne PESTALOZZIs den Frieden nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den Herzen und Händen zu verankern? Es erscheint wichtig, Gesellschaft und Ich – Bezug miteinander zu verbinden. Es soll das Gefühl und die verstandesmäßige Einsicht vermittelt werden, dass Andere mich angehen und dass es lohnt, dass ich mich für sie engagiere. Dazu ist es sicher wichtig, die eigene Gruppenzugehörigkeit zu reflektieren. Vor allem kann hier befragt werden, gegenüber welchen Völkern oder Volksgruppen positive Gefühle oder negative Gefühle bestehen. Wie würden die betreffenden denken, wenn sie in dieser völlig anderen, von ihnen abgelehnten Kultur leben würden? Vor allem sind auch Gespräche über persönliche Empfindungen bei Filmen über Vertreibungen, Kriege und alle Arten von Gewalt wichtig. Nicht nur historische Fakten, sondern vor allem die emotionale Identifikation mit Menschen kann Verständnis für Leid und vor allem Verantwortungsgefühl hervorrufen. Im Deutschunterricht wären Aufsätze zum Thema persönliches Engagement für Gerechtigkeit sinnvoll. In der Ebene praktischen Handelns sind es konkrete Projekte z.B. Patenschaften mit Einrichtungen in anderen Ländern, die Verbindung zwischen dem Einzelnen und einer konkreten Aufgabe erleben lassen. 19
In diesem Zusammenhang kann als Beispiel ein Friedensprojekt einer Bildungseinrichtung genannt werden. Die Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik ins Steyr, Oberösterreich unterstützt seit Jahren die Errichtung eines Kindergartens in Fushe Arrez in Nordalbanien. In dieses Projekt, und das ist bemerkenswert, sind die auszubildenden Erzieherinnen, die Kindergärtnerinnen, die Kindergartenkinder und andere pädagogische Fachkräfte gleichermaßen einbezogen. Schon die Kindergartenkinder erfahren etwas über die Lebensbedingungen in Albanien und erleben, dass andere Kinder nicht so schöne Spiel- und Lebensräume zur Verfügung haben. Aus diesen Inputs ergibt sich ein Kunstprojekt, in dessen Folge die Kindergartenkinder in einer Vernissage, die von den Kindergärtnerinnen ausgerichtet wird, die Bilder verkaufen. Der Erlös kommt der Errichtung des Kindergartens in Albanien zugute. In Werkerziehung entwerfen und produzieren angehende Erzieherinnen Spielzeug, das in diesem Kindergarten zum Einsatz kommen wird. Weiters fahren Schülerinnen und Lehrpersonal freiwillig nach Albanien, um selbst Hand beim Verlegen von Böden, beim Einziehen von Wänden und bei anderen Arbeiten mit Hand anzulegen. Weiters ist noch die Ausbildung der dort wirkenden Kindergärtnerinnen durch österreichische Fachkräfte geplant. Aus der Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie kann hier gezeigt werden, dass konkreter Sinn altersübergreifend im Engagement für Mitmenschen gefunden werden kann. Gerechtigkeit wird insofern geübt, weil die beteiligten Menschen, je nach Alter und Begabung der Not dieser Menschen „gerecht“ geworden sind und ihnen ein Stück Würde gegeben haben. Und vor allem sehen wir auch, dass uns eigentlich prägt, was wir in diese Welt aussenden. Handeln wir gerecht, werden wir selbst gerechter. Setzen wir uns für den Frieden ein, werden wir selbst friedfertiger. Wenn wir uns darüber glücklich fühlen, ist dies eine Folge unseres Tuns und Handelns.



1 Vgl. Lukas, Elisabeth: Spannendes Leben. Ein Logotherapiebuch. 3. Aufl., München, 2003, p.209
2 Einstein, Albert, Freud, Sigmund: Warum Krieg? Ein Briefwechsel. Zürich, 2005, p. 36-37.
3 Vgl. Freud, a. a. O., p.42.
4 Freud, a. a. O., p. 42–43.
5 Vgl. Wehr, Gerhard: Gründergestalten der Psychoanalyse. Profile – Ideen – Schicksale. Düsseldorf, 1996, p.121
6 Vgl. Lorenz, Konrad: Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression. 24. Aufl., München, 2004, p.55.
7 Vgl. Lukas, Spannendes Leben, a. a. O., p.209
8 Lorenz, das sogenannte Böse, a. a. O., p.55.
9 Vgl. Nolting, Hans-Peter: Lernfall Aggression. Wie sie entsteht. Wie sie zu verhindern ist. Völlig überarbeitete und erweiterte Neuausgabe. Reinbek bei Hamburg 2005, p.187-188.
10 Vgl. Rousseau, Jean Jacques: Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts. Stuttgart, 1977, p. 16-26.
11 Lorenz, Das sogenannte Böse, a. a. O., p.55-56.
12 Vgl. Lukas, Spannendes Leben, a. a. O., p.211.
13 Frankl, Viktor, in: Lukas Elisabeth: Viktor E. Frankl. Arzt und Philosoph. München/ Wien, 2005, p.118-119.
14 Vgl. Aquin, Thomas von: Summe der Theologie. Herausgegeben von Joseph Bernhart. Bad. 3: Der Mensch und das Heil. 29. Untersuchung, 3. Artikel. Unveränderter Nachdruck der 2. Auflage von 1954,. Stuttgart, 1985, p.150. Dazu THOMAS: „Der Friede ist auf einem Umweg das Werk der Gerechtigkeit, insofern er nämlich ein Hindernis beseitigt. Gradweg ist er aber das Werk der Teuerliebe: Denn in ihrem eigenen Gewese nach verursacht die Teuerliebe Frieden.
15 Vgl. Lukas, Spannendes Leben, a.a.O., p.213.
16 Vgl. Nolting, Lernfall Aggression, a.a.O., p.301-302.
17 Vgl.Nolting, Lernfall Aggression, a.a.O., p.302.
18 Vgl. Nolting, Lernfall Aggression, p.302.
19 Vgl. Nolting, Lernfall Aggression, a.a.O., p.303-304.

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